Jochen Warth – ein Zeichner

Rede von Ralf Bertscheit zur Einführung in die Ausstellung:
Jochen Warth / Jo Bukowski – Malerei und Stahlskulpturen
in der Galerie kunst_raum haerten, Jettenburg, 2006


Jochen arbeitet mit Stahl. Seine Skulpturen in dieser Ausstellung sind alle aus Stahl. Sie sind aber nicht massiv, sie bestehen nicht aus schweren Stahlblöcken. Jochen nimmt Stahlplatten, nur wenige Millimeter dick, schneidet sie zurecht, biegt sie in Form, fügt sie zusammen und verschweißt dann die Kanten dieser Platten so, dass der Eindruck einer geschlossenen massiven Stahlform entsteht.

Dabei benutzt Jochen keine Vorzeichnungen, es existieren keine planerischen Skizzen, keine Entwürfe. Zeichnungen mit Millimeterangaben, Schnittstellen, Biegungskurven, Winkelzahlen, Materialstärken sucht man in seinem Atelier vergeblich. Jochen konstruiert seine Skulpturen allein im Kopf.

Jochen sagt : „Wenn sie fertig sind, entsteht fast so etwas wie eine Liebesbeziehung, wie wenn die Skulptur eine Seele bekommen hätte.“

Was passiert zwischen einer Idee zu einer Skulptur und dem Moment, wenn die Skulptur fertig ist ? Wie sieht dieser Prozess aus ? Ich sage: Jochen zeichnet.

Jochen zeichnet im Kopf Linien in den zunächst imaginären, nur gedachten Raum hinein. Die Linien, die er im Kopf zeichnet, sind später die Kanten seiner Skulpturen, sind die Konstruktionslinien seiner gebauten Stahlplastiken. Lange trägt Jochen diese Gebilde im Kopf mit sich herum.
Dort sind diese Linien noch weich und formbar, durch den bloßen Willensakt des Umdenkens veränderbar und umzuzeichnen. Sie reifen und wachsen in Jochens Kopf, bis sie sich zu einer für ihn schlüssigen Form entwickelt haben und sich festsetzen als seltsame Gebilde in der Spannung zwischen emotionalem Ausdruck und technischer Machbarkeit.

Dann die Entstehung der eigentlichen Skulptur. Stahl wird geschnitten, geflext, gebogen. Ausgesägte Stahlflächen werden zusammengesetzt, sie stoßen aneinander, bilden dabei die Kanten der Skulpturen, ziehen die Linien der im Kopf konstruierten Zeichnung nach. Sie werden fixiert und dann geschweißt. Die Linien der Kanten werden im Schweißen nachgezogen, das Schweißgerät zeichnet die bisher nur gedachten, bisher nie konkret gewordenen Linien zum ersten und einzigen Mal wirklich nach. Das Schweißgerät als Zeichenstift. Aus gedachten Linien, im Kopf konstruiert und dort noch weich und in jede Richtung formbar, sind spröde, starre, harte, aber auch elegant gebogene Linien in Stahlkonstruktionen geworden. Sie haben sich verfestigt zu einer raumumschreibenden Konstruktion aus Linien.

Dabei beschreiben Jochens Skulpturen immer einen eigenartigen, ganz eigenen Raum – einen Jochen-Raum.
Denn einerseits umgreifen sie den Raum oft in dynamischen, eleganten Kurven, in beinahe handschmeichlerischen Biegungen. Andererseits bleiben sie aber auch hermetisch, ruhen in sich, haben fast etwas abweisendes, verschließen sich trotz mancher realen Öffnung in ihren Innenraum hinein dem wirklichen Zugang von außen. Natürlich spielt das Material, der Stahl, bei dieser Wahrnehmung eine große Rolle. Ich habe aber auch schon viele Skulpturen von Jochen z.B. aus Holz, Beton und Blei gesehen, die denselben Charakter dieses Jochen – Raumes in sich tragen.

Jochen sagt: „Ich beschäftige mich physisch, mit viel Arbeit, mit dem Raum. Mühe, Umwege und dadurch bedingte Verlangsamung spielen eine wichtige Rolle. So reflektiere und erarbeite ich Raum, mache ihn mir vertraut, eigne ihn mir an – bis er mir gehört .“

Bis er ihm gehört, bis er den einladenden und zugleich hermetischen, aber auch emotional aufgeladenen Jochen – Raum – Charakter erreicht hat. Und den Weg dahin legt Jochen zeichnend zurück, zeichnend im Kopf, zeichnend mit dem Schweißgerät.

Jochen – ein Zeichner.

Ein Aspekt muss noch vertieft werden, der Aspekt der Zeit: Jochen hat ihn gerade in seinem Zitat erwähnt. Seine Zeichnungen entstehen extrem langsam. Sie reifen als immaterielle gedankliche Zeichnungen über einen langen Zeitraum, und auch das Konstruieren und dann das Schweißen der realen Raumlinien an den Skulpturen dauert lange. Dieses langsame Zeichnen als Aneignung eines Raumes – „bis er ihm gehört“ – hat ausgesprochen kontemplative Züge. Ich stelle mir eine solche gedankliche Skulptur als eine Art Ruhepol zwischen den beruflichen Terminen, den häuslichen Aufgaben, den Umtrieben des Alltags als Punkt vor, an den sich Jochen immer wieder zurückzieht und die Form weiterdenkt, sie in langen ruhigen Gedanken weiterentwickelt. Jochens Skulpturen wachsen aus der Kontemplation der Dauer …